Sex für Anfänger -- zur Verfilmung von 50 Shades of Grey

 

Das Handwerk des Satirikers ist ein fragwürdiges. Anstatt sich mit dem Wahren, Schönen und Guten zu befassen, wühlt er wie eine Sau im Dreck, um die fiesesten Klumpen heraus zu zerren und so lange zu bearbeiten, bis sie feinziseliert vor den Augen der Weltöffentlichkeit liegen und lauthals belacht werden können. Während also andere an diesem Karnevals-Donnerstag bei erlesenem Sonnenschein als Pilz, Politesse oder Pandabär durch die Straßen irrlichtern und gutgelaunte Alkoholiker und Sexsüchtige ihre Passionen als Brauchtumspflege ausleben können, sitze ich in einem kleinen zugigen Kino und sehe mir „50 Shades of Grey“ an. Ich hebe den Altersdurchschnitt deutlich. Der zu zwei Dritteln gefüllte Raum gehört der Jugend. Ob die vielen Mädchen und vereinzelt eingestreuten Jungen tatsächlich um die 16 Jahre alt sind, wie ich glaube, oder doch ein paar Jahre  älter, kann ich ohne Ausweiskontrolle nicht ergründen. Ich setze mich in die erste Reihe und zücke Stift und Kladde. Das wirkt sicher seriös.

 

Bereits die Werbung hat es in sich. Gleich zweimal wird ein Produkt namens Vagisan eingeblendet. Wer diese Feuchtcreme nutzt, braucht kein Gleitgel mehr. Ein Mädchen in der Reihe hinter mir sagt: „Ey, personalisierte Werbung für dich, Julia!“ Ob hier noch jemand Pornosan kennt, das heiße Phantasietonikum unserer heißlebigen Zeit? Egal. Skizzieren wir lieber die Handlung von „50 Shades of Grey“: Ein romantischer, intelligenter Backfisch namens Anastasia Steele lernt durch ein Interview für die Uni-Zeitung den 27jährigen Milliardär Christian Grey kennen und findet ihn atemberaubend, wie er da so souverän und semi-charmant in seinem riesigen Hochglanzbüro im Chefsessel sitzt. Anastasia ist gekleidet wie eine Zeugin Jehovas und gibt Christian vielleicht gerade deshalb das Gefühl, erkannt zu werden. Als er sagt Die Menschen, die mich gut kennen, sagen, ich habe kein Herz, sagt sie: „Ich glaube irgendwie nicht, dass es Menschen gibt, die Sie gut kennen.“ Volltreffer!

 

Es entspinnt sich eine verkorkste Liebesgeschichte, in der früh Sätze fallen wie: „Ich bin nicht der Richtige für dich. Es ist besser du gehst.“ Oder auch „Du triffst den Hagel auf den Nopf!“ (Nein, das denke ich mir nicht aus.) Klar, dass die Studentin durch diese rätselhafte Angebotsverknappung richtig Feuer fängt. Sie will mit Christian schlafen, aber er sagt: „Ich schlafe nie mit jemandem, ich ficke.“ Und damit ist der Kernkonflikt bereits auf den Punkt gebracht. Sie will mit ihm schlafen, er will sie ficken. Wer kennt das nicht? Kaum beginnt man eine Intimbeziehung führt man schillernde Dialoge:                         

 

Er: „An dieser Lippe würde ich gerne knabbern.“                                                                       

Sie: „Warum tust du es nicht?“                        

Er: „Ich werde dich nicht berühren. Nicht ohne deine schriftliche Einwilligung.“

 

Moderne Beziehungen sind ja ein komplexer Prozess, in dem zwei Individuen einen gemeinsamen modus vivendi aushandeln. Okay, du darfst ab jetzt kontrollieren, mit wem ich wann was mache, dafür verhalte ich mich zwischen 15.00 und 22.00 Uhr wie ein trotziges Kleinkind. Und wenn ich dir jeden ersten Samstag im Monat ins Gesicht spritzen darf, dann komme ich Weihnachten mit zu deinen Eltern. Bei der Uni-Absolventin und dem jungen Self-Made-Milliardär ist es nicht anders. Sie treffen sich zu einem verrucht ausgeleuchteten Businessmeeting bei Weißwein und Sushi und gehen einen von Christian aufgesetzten Vertrag durch. Anastasia unterschreibt ihn nicht. Vertragspunkte wie „Analfisting“ und „Genitalklammern“ streicht der kleine Frechdachs sogar einfach durch. Als Christian ihr sein Spielzimmer zeigen will, fragt sie: Ist da deine X-Box drin? Nein, es ist keine X-Box da drin. Da drin sind Peitschen und Handschellen und ein dunkelrot bezogenes Bett. Christian möchte der Dominante sein, Anastasia soll die Subdominante sein – so wird für ihn Musik draus. Sie fragt, was sie davon hat. Er antwortet: „Mich.“                                                                                 Teufel, denke ich, der Kerl hat es raus.                                               

Kurz darauf ergänzt er: „Wenn du einwilligst, meine Sklavin zu sein, dann bin ich dir treu ergeben.“ Damit bringt Christian das traditionelle Mann-Frau-Arrangement lässig auf den Punkt. Gerade die Anhänger abrahamitischer Religionen sollten hier aufhorchen und "50 Shades of Grey" als inspirierende Aufforderung begreifen: Anstatt sich wegen dröger Detailfragen in Zwistigkeiten zu verzetteln, sollten sich Christen, Juden und Moslems solidarisieren und auf eine gemeinsame Kernkompetenz fokussieren: Frauen klein halten.

 

Vielleicht haben die Kapitalisten längst den besseren Mythos zur Hand, um Mann und Weib gefügig zu machen und bis tief hinein ins persönliche Begehren zu formen: Was kümmert die Jungfrau von heute das Paradies, wenn sie als Alpha-Weibchen reüssieren kann? Ganz so leicht ist es mit den Mädels allerdings nicht. Anastasia hat ihren eigenen Kopf. Darin wuchert die Frage: Ist Mr. Rich auch Mr. Right? Zunächst denkt sie sich: Schwamm drüber, das wird schon. Sie lässt sich von Christian entjungfern und ein bisschen herumkommandieren und auch mal väterlich den Hintern versohlen. Das ist konventionell gefilmt, aber für Hollywoodverhältnisse nicht besonders künstlich, dämlich oder pornografisch. Erotisch ist das auch nicht: Christian mit den kurzen Daumen und der Ausstrahlung eines verklemmten Serienmörders ist einfach zu abtörnend. Fehlende natürliche Autorität muss der lurchhafte Muskelmann mit dem zerissenen Innenleben ständig mit Geld und Manipulationstricks (vom überteuerten Geschenk über unangemeldetes Aufkreuzen bis zur herzergreifenden Kindheitsgeschichte) ausgleichen. Ganze Generationen von Machos schütteln pikiert mit dem Kopf.

 

Als Christian in seinem Spielzimmer zur Peitsche greift und damit sechsmal aufs Gesäß seiner Herzensdame drischt, die jeden Schlag mitzählen soll, reißt ihr der Geduldsfaden und sie macht Schluss. Er versucht, sie umzustimmen, aber sie geht und der Film ist aus. Vorher hat Christian noch erzählt, dass er der Sohn einer Crackhure ist, im Alter von vier Jahren in bessere Verhältnisse adoptiert wurde und mit 15 ein Verhältnis zu einer Freundin seiner Mutter hatte. In diesem war er der Sexsklave. Seltsamerweise sagt er Anastasia, dass er sich frei und geborgen fühlte, wenn er die Kontrolle abgab. Man fragt sich, warum er  sich diese Freiheit und Geborgenheit nun versagt. Aber geschenkt. Einigen wir uns darauf, dass der junge Mann, der eine sehr ernste und froschhafte Variante des frühen David Hasselhoff verkörpert, einfach nicht aus seiner Haut heraus kann. Sein sexueller Fetisch – wenn auch anfangs aufregend für das unerfahrene Mauerblümchen – ist Anastasia auf lange Sicht zu festgefahren, unpersönlich und lässt ihr zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten. Da Christian ein zwanghafter und übergriffiger Kontrollfreak mit Angst vorm Kuscheln ist, vermag er Anastasia trotz etlicher Baumarkt-Utensilien auf lange Sicht nicht zu fesseln.                          

 

In meiner Kladde habe ich acht Minuten Blümchensex und knapp fünfzehn Minuten seichte Bondage- und SMS-Szenen notiert. Nichts, was man nicht mit der ganzen Familie gucken könnte. Antifeministisch ist der Film auch nicht. Im Gegenteil – das, wogegen sich Feministinnen unter anderem wehren – männliche Kontrollwut und erotischer Egozentrismus – werden hier liebevoll pathologisiert. Auch ein smarter, gutaussehender Milliardär beißt mit dieser Vollmeise bei einer freundlichen Dame aus der Mitte der Bevölkerung nach kurzer Zeit auf Granit. Vorher darf sie ein bisschen in ihren Unterwerfungsphantasien schwelgen und davon träumen, zu den 1% zu gehören, die den Rest der Welt in den Allerwertesten ficken. Hoffen wir, dass es keinen zweiten Teil gibt, indem Anastasia es sich anders überlegt.

 

Lohnt es sich, den Film zu gucken? Wer „Neuneinhalb Wochen“ zu aufregend fand, oder den eigenen Kindern schonend beibringen will, warum Papi und Mami jetzt nicht mehr zusammenleben, ist mit der ansprechend gefilmten und solide geschauspielerten Kinoversion von „50 Shades of Grey“ womöglich gut beraten. Ich fand den Film teils zäh und teils unterhaltsam. Im Großen und Ganzen ist das typische Hollywood-Romanzen-Konsumenten-Pornographie mit Luxushotels, feschen Autos und Hubschrauberflügen. Erfrischend wird es, wenn die neugierige, junge Frau, dem in sich gefangenen Fetischisten Paroli bietet. Da wäre eine starke Komödie drin gewesen, stattdessen hagelt es ernst gemeinte Dialogsegmente wie „Wir sollten miteinander reden.“ Oder: „Wieso lässt du mich nicht an dich ran?“ Oder: „Die größte Angst, ist die in deinem Kopf.“ Von der kleinen Angst im Arsch redet allerdings niemand.                                   

Extrem wache Chronisten der Gegenwart – qui, c’est moi – werden auch aus dem labbrigen Kelch dieser cineastischen Sumpfblüte soziologischen Nektar zu saugen wissen. Wenn weltweit 100 Millionen Leser und vor allem Leserinnen diese schlichte, unblutige und kaum noch metaphorische Dracula-Variante goutieren, heißt es, einmal genauer hinzusehen. Was wird hier über Mann-Frau-Beziehungen im 21. Jahrhundert erzählt?                           

1. Die Anforderungen sind gestiegen. Für eine Frau reicht es heutzutage nicht mehr, jung und gutaussehend zu sein. Sie muss auch aufgeschlossen und klug sein. So sagt Anastasia ganz am Anfang wie nebenbei: „Ich habe ein Navi und einen Durchschnitt von 1,0.“ Für die Männer kommt’s noch dicker: Christian Grey hat nicht nur ein paar Milliarden, etliche Autos und Hubschrauber, er hat auch ein Sixpack, kann melancholische Klavierstücke spielen, weiß, das Thomas Hardy nicht der Kompagnon von Stan Laurel gewesen ist und vermag ein rührendes Kinderschicksal ins Feld zu führen. Und trotz alle dem bekommt er am Ende einen Korb, weil er im Bett schwächelt.                                                                       

 

2. Nähe-Distanz-Fragen und unterschiedliche Auffassungen von Romantik dominieren die moderne Zweierbeziehung, die sich im traditionellen Dreieck aus Macht, Sex und Ökonomie ihr behagliches Plätzchen suchen möchte. „Warum Liebe weh tut“ heißt ein postmoderner Klassiker. Darin untersucht die israelische Soziologin Eva Illouz heutige Liebesbeziehung anhand von Begriffen des Tauschs zwischen ungleichen Marktteilnehmern. Anders als in der Romantrilogie suggeriert die Verfilmung des ersten Teils von „50 Shades of Grey“: Bei allem Geld und aller Macht ist Christian mit seinem Zwang, alles zum Ding machen zu müssen, selbst eine defekte Ware, die jeder umtauschen würde, der keinen kompatiblen Dachschaden hat.

 

3. Geschäftsverträge werden auch im Privatleben immer wichtiger.                             

 

4. Weibliche Unterwürfigkeit ist eigentlich eine prima Sache für Menschen, die das wilde, freie Sexualleben überfordert. Die Frau kann kaum was falsch machen. Sie liegt oder kniet rum, wie ihr aufgetragen wird, und der Mann ist verantwortlich für die Show. Der Mann wiederum braucht keine Angst zu haben, dass die Frau mit eigenen, vielleicht sogar spontanen Sexeinfällen die ganze Stimmung zu Nichte macht. Der Mann minimiert seine Angst davor, nicht zu begehren, in dem er seine Masturbationsphantasien ungestört nachstellen kann. Die Frau minimiert ihre Angst, nicht begehrt zu werden, indem sie zur willen- und verantwortungslosen Puppe wird. Alles ausgehandelt nach Regeln, die im wilden Dickicht der Erotik Sicherheit geben. Sexuellen Anfängern, wie zum Beispiel Teenagern*, Salafisten-Imamen oder anderweitig Beeinträchtigten, ist der gezeigte reaktionär-geschlechtsspezifische Sadomasochismus als leichter Einstieg zu empfehlen. Man muss es ja nicht gleich übertreiben wie die Protagonistin in Lars von Triers „Nymphomaniac“. Dieser Film hat zwar mit „50 Shades of Grey“ nur eine sehr geringe Schnittmenge was intellektuelle Komplexität, Ästhetik, Tiefe der Figurenzeichnung, ironische Brechung und Realitätssättigung angeht. Es gibt aber doch eine nicht unerhebliche Gemeinsamkeit: Beide Filme blicken ohne zu urteilen auf problematische Seiten der Sexualität. Wer sucht sich schon aus, was ihn oder sie kickt?

 

Ich gehe vergnügt aus dem Kino. Mein Sexualleben ist reicher und aufregender als das eines gestählten 27jährigen Multimilliardärs, den viele Millionen Leserinnen in ihren harmlosen Phantasien heraufbeschwören. Und das ist für die nachmittägliche Dreckwühlerei eines Teilzeit-Satirikers doch allemal ein erfreuliches Ergebnis.

  

 

* Der Philosoph Adam Phillips behauptet in seinem lesenswerten Essay "Sane Sex", dass die meisten von uns sich gerade sexuell nie ganz von der Pubertät erholen.  

 

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