Integrationspreis für Rapper Bushido

Eine Gardinenpredigt, gehalten am 12.11.2011 im Euro Theater Central, Bonn.

 

Diesen Donnerstag fand in Wiesbaden die große Bambi-Preisverleihung statt. Einer der 18 Preisträger war Rapper Bushido, bürgerlich Anis Fenchel Youssef Monchichi. Er erhielt den Integrations-Bambi, was schon im Vorfeld für Unmut sorgte. „So geht es nicht“, sagten Menschen von Frauenrechtsorganisationen, den Grünen oder Homosexuellen-Vereinen wie dem „Warmen Wiesbaden“. Im Internet wurde zu Protesten aufgerufen. Auch der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel zeigte im Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk klare Kante: „Bei mir wird sich keine Hand rühren.“ Was immer er damit sagen wollte.

 

Bei der Preisverleihung selbst geht es dann aber friedlich zu. Es wird brav geklatscht, als der Quoten-Kriminelle auf die Bühne darf, um seinen Bimbo, entschuldigung, Bambi entgegen zu nehmen. Es wird aber auch brav geklatscht, als ein anderer Preisträger, Peter Plate von Rosenstolz, Kritik äußert: „Nichts gegen das Recht auf eine zweite Chance, aber jemanden, der frauenfeindliche, schwulenfeindliche und letzten Endes menschen- verachtende Texte gesungen hat, so einen Musiker auszuzeichnen, das finde ich nicht korrekt.“

 

Der Burda-Verlag, in dessen Namen der Preis ausgelobt wird, veröffentlichte jedoch bereits vor der Verleihung ein Statement, um die Entscheidung trotz fragwürdiger Songpassagen im Oeuvre des – ich zitiere – „polarisiernden Künstlers“ zu begründen: „Musik ist eine Kunstform, der bewusste Tabubruch ein Stilmittel des Raps“.

 

Es ist also soweit: Nachdem uns Bushido schon viele Jahre aus den Kopfhörern missmutiger Buben mit monotonen Geräuschkulissen belästigt hat, nachdem er ein rührseliges Ghetto-Kid-Drama in die Kinos gebracht und sich kurz darauf mit Plagiatsvorwürfen als Trendsetter empfohlen hat, steuert er nun mit dem Bambi auch noch etwas zur nervigsten Debatte des Jahrzehnts bei: Das Gelaber um die politische Korrektheit. „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“, rufen die unerschrockenen Kämpfer für Denk- und Redefreiheit, wenn sie jemand darauf hinweist, dass das, was sie da gerade sagen, Menschen wegen ihres Geschlechts oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit herabsetzt. Und tatsächlich, wo kämen wir hin, wenn man sich nicht mehr gegenüber anderen erhaben fühlen könnte. „Die Türken sind faul und nehmen uns die Arbeit weg“, mutmaßt in ganz eigener Logik der von der Globalisierung ins Knie gefickte Arbeiter. „Die Deutschen sind Scheiß-Kartoffeln“, äußert der türkische Gemüsehändler, der von der gleichen Globalisierung ins gleiche Knie gefickt wird. „Männer sind potentielle Vergewaltiger“, fühlt sich die Primitiv-Feministin plötzlich irgendwie besser, „Frauen haben einen niedrigeren IQ, aber einen höheren EQ als Männer“, kontert die seriöse Focus-Spiegel-Bunte-Forschung, während der von seiner Mutter aufgezogene Bushido schon munter rappt: „Ihr Tunten werdet vergast“. Und dann kommt das gebildete Bürgerkind und sagt zu all diesen Menschen: „Das, was ihr da äußert, sind fragwürdige chauvinistische Stereotypen, die den Geist des Reaktionären und damit des Kryptofaschistischen in sich tragen, in welchem Menschen nicht als gleichwertige Individuen, sondern in archaischer Weise als in Raster einzuordnende Mitglieder eines Stammes, einer Kaste oder eines Geschlechts betrachtet werden, wobei die kapitalistische Ausbeutung solcher Hierachien bedarf, um ihre Aneignung von minder eingestufter und daher schlecht entlohnter Arbeitskraft ideologisch zu verbrämen.“ Oder kurz gefasst: „Ich bin klüger als ihr, also was Besseres. Bätsch!“ Jeder ist in diesem unkorrekten oder korrekten Zirkus also besser als irgendjemand anders, auf den er oder sie herab schauen kann.

 

Was machen wir nun aber mit Bushido und seinem Bambi? In meinem Regal befinden sich unter anderem CDs von Slayer, Cannibal Corpse, Autopsy und Clit-Eater, deren Songtexte rund um Frauenfolter, Babyverstümmelung, Christenverhöhnung und Konzentrationslager Bushidos Hörprodukte in etwa so brutal erscheinen lassen wie eine Benjamin Blümchen Kassette. Wenn mir in jungen Jahren jemand gesagt hat, das, was ich da höre, sei stumpfer, gewalttriefender, menschenverachtender Rotz, dann habe ich geantwortet: Ja. Und wenn jemand meinte, das müsste verboten werden, dann meinte ich: Von mir aus. Und wenn etwas tatsächlich indiziert gewesen ist, wie in meiner Jugend z.B. der Film „Tanz der Teufel“, dann habe ich erst recht versucht, an den Krempel heran zu kommen. Mir war völlig klar, dass Frauenfoltern und Babyverstümmeln irgendwie nicht so richtig okay ist. Und ich war mir sicher: Die Burschen von Autopsy oder die Macher von „Tanz der Teufel“ wissen das auch. Geistige Gesundheit heißt für mich, den verschiedenen Facetten der eigenen Person gerecht zu werden, ohne gegen sich oder andere ungerecht zu werden.

Irgendwas ist bei Bushido aber anders. Kreisen wir das Phänomen einmal intuitiv ein: Hätte ich Kinder und sie würden mit Slayer-T-Shirts durch die Gegend hopsen, würde ich zwar nicht sagen: Cool, ich komm mit aufs nächste Konzert. Nein, ich würde meine Rolle als Erziehungsberechtigter spielen und sagen: Hu, das sind aber fiese Bilder und grausame Texte. Eijeijei, ein Song über Auschwitz ist keine gelungene Partymusik, ihr verrohten Früchte meiner Lenden. Aber insgeheim würde ich denken: Das wird sich schon ausgehen. Wären meine fiktiven Kinder hingegen Bushido-Fans, zerbräche ich mir den Kopf. Nicht, weil ich selbst diese Art von Rap nicht höre und auch nicht, weil Ärsche, Schwänze, Fotzen, Blut und Keilerei in holprigen Metren und schiefen Reimen zur Sprache gebracht werden. Es sind zwei andere Dinge, die mir bei Bushido auf den Sack gehen: Zum einen versucht er, seine brutalisierte Attitüde nicht als alltagsferne Parallelwelt, sondern als echten Lebensstil zu verkaufen und sich selbst als Vorbild, vor dem man Respekt haben soll. Hier müsste doch schon was auffallen: Sich ständig über andere respektlos äußern, dann aber Respekt einfordern, ist die Haltung von Größenwahnsinnigen, mit denen man nichts zu tun haben will. Slayer oder Marilyn Manson laufen nicht durch die Gegend und erzählen in Interviews, das andere Metal-Musiker samt und sonders Schwuchteln, Fotzen und Nutten sind, die mal ihre Eier lecken können. Sie wissen, dass man sich bei allem „bad boy“-Image nicht vollkommen zum Horst machen muss und seinen Minderwertigkeitskomplexen jenseits der Bühne eben nicht die Zügel schießen lässt. 

Ja, die Masche, permanent anderen die Männlichkeit abzusprechen, um selbst als männlicher dazustehen, gilt selbst in der wenig coolen Metal-Szene mit ihren durchschaubaren Männlichkeits-Symbolen, den bösen Gesichtern und den prätentiösen Posen als uncool. Bis zu Bushido hat sich das jedoch nicht herum gesprochen. Also erzählt er größtenteils nichts anderes, als dass er super ist, ganz einfach deshalb, weil andere Scheiße sind.

Die zweite Sache, die mich an Bushido ankotzt, ist mit dieser ersten verknüpft: Die zu dieser Selbstbezogenheit gehörende Wehleidigkeit. Das kann man jungen Leuten, die eh schnell einen Hang zu ichbezogener Heulerei entwickeln, doch nicht zumuten. Viele Eltern wissen ja gar nicht, was dieser rappende Jammerlappen alles von sich gibt. Im Folgenden ein paar Songauszüge, die ich keinesfalls lange suchen musste. Los geht es mit einer Strophe aus

„Schmetterling“:

Du bist mein Schatz - Ich lieb dich wie mein eigenes Leben
Ich vergesse die ganze Welt
Und seh nur uns zwei im Regen
Uns zwei wie wir nur noch uns zwei haben
Schenk dir 1000 weiße Tauben, wenn wir uns heiraten [Alternativvorschlag: 1000 weiße Tauben und 100 schwarze Raben]
Du hast nicht gewusst, dass ich ein Rapper bin
Doch ich wusste damals schon, du bist mein Schmetterling“

 

Heiraten will er. Und 1000 weiße Tauben verschenken, die dann die ganze Wohnung voll kacken. Dabei war seine Existenz am Rande der Gesellschaft, bei den Aussätzigen und hart Gezeichneten, der Schmetterlings-Frau erst verborgen: Sie wusste nicht, dass er...oh Gott...ein Rapper ist.

Und weiter:
“Wie eine Träne im Meer
Komm ich mir vor, wenn ich dran denke
Was wär, wenn dein Segen nicht wär“

Wie eine Träne im Meer? Wohl eher wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Nein, kein Zweifel, da haben die Sittenwächter recht: So etwas gehört in kein Kinderzimmer! Da hilft es auch nicht, dass der Deutsch-Tunesier mit dem Rap-Tourette in „Gangbang“ behauptet:

 

„Herzlich willkommen auf dem Asphalt, er singt dir ein Lied
Guck zum Horizont, was willst du Kind hier
Zwischen Männern die mit Hero und Koks Ticken
Wir sind die drei, die euch Zecken in den Zoo schicken
Die euch so ficken, bis ihr euer Blut kotzt
Ich bin Berliner, der nicht redet, sondern zuboxt
Deine ganze Familie sind Taschenspieler
Ich werd zu 90% morgen Waffendealer
Ich werd's so machen wie der Cowboy im Western
Ich trink nur noch Whisky und fick deine Schwestern“

 

Ja, was denn jetzt? Labern oder boxen? Waffendealer oder Cowboy? Vielleicht zu 90% Waffendealer und zu 10% Cowboy, wobei er dank des Nur-noch-Whiskey-Trinkens gar nicht mehr zu deinen Schwestern kommt, die ja jeder klassische Cowboy im Minutentakt flachlegt.

 

Oder nehmen wir einen Auszug aus dem grandios betitelten „Du bist ein Mensch“, einem Song, den Bushido mit Xavier Naidoo zusammen gesungen hat. Spätestens hier sollten bei Erziehungsberechtigten alle Alarmglocken läuten:

 

Warum führen wir Krieg, warum töten wir hier?
Manchmal wird mir klar, ich hab Böses in mir.
Viel böses passiert, es war schön und gut,
doch warum wird aus Öl nur Blut?
Warum sind wir stur, gehn über Leichen?
Kinder werden geboren, hungern, verzweifeln.
Die Reichen werden reicher und Arme bleiben arm,
ich stelle mir die Frage „was haben sie getan...“ [ja nix, deshalb sind sie ja arm, ‚tschuldigung, kleiner Scherz, der sich gerade anbot]

Warum hat man Angst, Angst vor der Zukunft?
Warum schlägt die Hilflosigkeit nur in Wut um?
Das sind wir Menschen voller Kummer und Sorgen,
doch Gott schenkt uns ein Morgen“

 

So was will ich noch nicht einmal mit Wandergitarre im Zeltlager der christlichen Jugend Sackeifel-Nord hören und schon gar nicht von einem Cowboy-Rapper. Aber es kommt noch schlimmer: Bei „Sieh in meine Augen“ bricht die ganze Heulerei eines gebeutelten Egos aus dem depperten Rap-Egomanen heraus:

 

Okay, man sagt die Augen sind der Spiegel meiner Seele [nicht nur deiner, du Solipsist]
Und deswegen ist es dunkel an dem Ort, an dem ich lebe [die Kausalität wirkt zwar nicht zwingend, aber geschenkt].
In dem kleinen Platz hier drinnen ist es Herbst [das glaube ich sofort, wenn er damit sein manisch-depressives Hirnkasterl meint],
und an die Wand schreibe ich mit Blut einen Vers:
Flieg, wenn du fliegen kannst, lieb, wenn du lieben kannst,
weil du nie kriegst, was du kriegen kannst“

 

Es ist bekannt, dass Bushido Ghostwriter hat, aber wer zum Teufel liefert dem armen Mann gegen gutes Geld eine solche Ware? Das ist doch in fünf Minuten beim morgendlichen Bierschiss entstanden.

 

Und weiter:

„Ich hab Blasen an den Füßen, weil ich barfuss geh'.
Wenn ich laufe, weine ich Salz, denn dieser Pfad tut weh.

Und nur, weil ich höflich bin, sage ich weiter guten Tag.

Ich brauche ein Pflaster für die Seele, weil ich nicht verbluten mag.“

 

Okay, jetzt reicht es. Allein das finale Wörtchen „mag“, dass nach Prenzlauerberg-Mädchen mit Traumfänger und "irgendwas mit Kunst oder Menschen" [und am Ende doch PR] klingt, disqualifiziert diesen Rap vollständig. Ich würde meinen Kindern klipp und klar verbieten, diesen Flachwichser in meinen vier Wänden Salz weinen zu lassen. Bushido, herhören, wir alle weinen Salz, nicht nur du. Kapiert? Und wenn dich die Blasen stören, dann zieh dir halt was an deine verweichlichten Mauken, herrgottsakrament.

 

Und kurz danach rappt der Bambi-Mann dann wieder so was:

 

„Neben mir sieht alles whak aus, weil keiner auf den Dreck bounct
Born to Kill, du machst alles chill,
wenn ich rappe, weiß ich ganz genau, deine Stadt steht still.
Ich bin elitär und auf keinen Fall dein Kumpel.
Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel.“

 

Was soll man dazu noch sagen? Von Emo-Berlin zu Aggro-Berlin und im Schweinsgallop auf zur nächsten Peinlichkeit einer Rap-Vortäuschung:

 

"Zeiten ändern dich":

„Um ohne Vater aufzuwachsen, musst du hart sein.
Er war ein Kämpfer, und zwar seit Tag eins.
Er wollt kein Mitleid, und auch kein Mitgefühl,
und jetzt schau ihm in die Augen, denn nur ein Blick genügt,
und du siehst Hass, Schmerz, und du siehst Leid pur,
und seine Jahre vergehen, wie auf ner' scheiß Uhr.“

 

Nein, nein, nein: Um ohne Vater aufzuwachsen, musst du nicht hart sein, du musst nur ohne Vater aufwachsen. Und dass du kein Mitleid und der Vollständigkeit halber auch kein Mitgefühlt willst, du Gefühlsterrorist, wage ich zu bezweifeln, wenn du den armen Songhörer in den Augen deines Protagonisten „Leid pur“ sehen lässt. Angus Young kämen bestimmt die Tränen. Vielleicht würde er zusammen mit Lemmy und dir ein Benefiz-Konzert für alle armen Rapper machen, die Blasen an den Füßen haben, weil sie barfuß gehen. Vielleicht würden sie aber auch mit Alice Cooper sagen: „No doubt, you are stressing out, that ain't what rock `n´ roll’s about” und vermaledeite Freierscheiße – sie hätten Recht. Aber diese Art von Rap ist eben nicht Rock `n´ Roll, diese Art von Rap ist Schlager für Menschen, die zu feige sind, Schlager zu hören.

 

“Zeiten ändern dich” endet übrigens so:

 

„Mir tut so vieles heute unfassbar Leid.
Ich musste mich verändern, um was zu sein.
Ich wollte, das Mama stolz auf mich ist.
Heut ist sie stolz, Zeiten ändern dich!“

 

Da lässt der in Bonn gebürtige Ghetto-Homie endgültig die Katze aus dem Sack: Er wollte was sein, auf dem Affenfelsen nicht ganz unten sitzen. Wegen Mama. Und da wundert es auch nicht, wenn der ehemalige Koranschüler zwar ganz unberechenbar („äh Fotze, äh Adolf Hitler und so“) provozieren, aber auch von allen lieb gehabt werden will und bei der Bambi-Verleihung sagt: „Ich weiß nicht, ob ich den Preis verdient habe. Die Jury sagt, ich habe ihn verdient“. Ja verfickt noch mal, seit wann interessiert einen harten Rapper, was die Jury sagt, du obrigkeitsgläubiger, von Peter Maffay auf der Bühne gelobter, in Talkshows rumstotternder Verräter deiner Zunft?!

 

Oh man, wie mir diese Typen auf die Nüsse gehen. Sie behaupten, dass auszusprechen, was gewagt, provokant oder tabubrechend ist, und wenn sich dann jemand beschwert, heulen sie rum, man hätte sie missverstanden, oder man wolle ihnen das Reden verbieten, dabei wollten sie nur Respekt und keiner schwulen Fotze was zu leide tun. Überall diese Eiertänzer und Waschlappen. Das sind doch keine Vorbilder für unsere Jugend! Nehmen wir mal Thilo Sarrazin, der bis heute mit diesem beleidigten Gesichtsausdruck in jeder Talkshow, die ihn noch reinlässt, den Unverstandenen gibt, dessen Buch man nicht oder nicht richtig gelesen habe und der allen Ernstes behauptet, er sei bei einem medial ausgeschlachteten Bummel aus Kreuzberg heraus gemobbt worden, ja „verjagt wie ein geprügelter Hund.“ In der Zeitung „Die Welt“ schwadroniert er gar von einem wachsenden Menschenauflauf und peinlicherweise sieht man in dem Aspekte-Beitrag zu diesem Quatsch, dass es sich bei dem hetzenden Mob um genau zwei Menschen handelt, die als maulendes Hänflingspärchen den missverstandene Buch-Millionär auffordern, aus Kreuzberg zu verschwinden. Der hat kurz davor einen seiner total leicht misszuverstehenden Sätze zu Protokoll gegeben: „Das Beleidigtsein des Orientalen ist eine Kampfhaltung, mit der er unangenehme Diskussionen wegwischt.“ Dabei ist natürlich das Beleidigtsein des Okzidentalen auch nicht von Pappe: Nehmen wir zum Beispiele diese anonym schreibenden Gestalten im Blog „politically incorrect“, die gegen den Mainstream sein wollen, aber sofort aufschreien, wenn jemand nicht ihrer Meinung ist. Oder wo wir beim wackeren Kampf gegen den verblödeten Mainstream sind: Nehmen wir den Papst, der sich von der Diktatur des Relativismus bedroht fühlt, und damit die Demokratie meint, die für seine Kirche die Steuern eintreibt, in der aber seine Kirche mit ihrer Diktatur des Absoluten nicht mehr die erste Geige spielt. Und dann spricht sich der unbequeme Denker gegen die Verweltlichung der Kirche aus, muss aber doch im Bundestag als religiöses Oberhaupt salbadern und in einem intellektuellen Salto mortale erklären, dass wir der katholischen Kirche ja die Aufklärung und die Menschenrechte verdanken (auch wenn der Vatikanstaat neben Weißrussland der einzige Staat in Europa ist, der die Menschenrechtskonvention nicht unterzeichnet hat, vermutlich weil heutzutage „Menschenrechte“ auch „Frauenrechte“ beinhalten).

 

Ach, ich rede mich in Rage, und ich tu es gerne. Also: Ratzepappi, der Entweltlichte, muss natürlich ein Massen-Event im Olympiastadion veranstalten, seine ins Jenseits schielende Kirche zu großen Teilen von extrem irdischer Einkommenssteuer finanzieren lassen (und nicht allein von Kirchensteuer, aber weil das kaum einer weiß, zahlen auch die Ausgetretenen und Atheisten lustig für den Mummenschanz) und eine nicht besonders transzendental entrückte Vatikan-Bank unterhalten.

 

Aber Schluss mit dem alten Mann, der eh bald stirbt und dem nächsten Jubelgreis und Taschenspieler für die geistig und oft auch sonstig Armen Platz macht. Und ehrenhalber muss ich sagen, dass Herr Ratzinger tatsächlich noch ein geistreicher Zeitgenosse ist, verglichen mit seinen Claqueren wie diesen Matusseks, die ganz mutig das „katholische Abenteuer“ wagen, das natürlich rein zufällig ein trendiger Bestseller wird, wobei Matussek von katholischer Theologie noch weniger Ahnung hat, als der Durchschnitts-Frömmler, der das irgendwie voll schlau findet, was Benedikt der XVI. da wieder gesagt hat, und wenn man dann fragt, was genau, antwortet: „Ja, irgendwie so das Ganze.“

 

Was gehen mir diese Typen auf die Nüsse, die irgendwelche Menschengruppen abwerten und sich dann beschweren, wenn sich diese Gruppen oder irgendwelche anderen Leute beschweren. Diese Hobbydemokraten, die Redefreiheit für sich fordern und nicht wollen, das andere ihre Redefreiheit nutzen. Nehmen wir diese Lesebühnenautoren und Poetry Slammer, die ungefähr 15 Jahre nach Max Goldt und 30 Jahre nach Eckhard Henscheid und der damaligen Titanic-Crew erkannt haben, dass sogenannte Linksspießer und Gutmenschen auch eine ordentliche Zielscheibe für Spott abgeben, und dass beim Kabarett- und Lesebühnenpublikum ein süffisant ausgebreitetes 68er-bashing und eine gesalzene „konservative“ Provokation ein größeres Hallo erzeugt, als beispielsweise das Verlesen des kommunistischen Manifest. Und dann provozieren sie so ein bisschen und plötzlich ruft ein Linksspießer „Buh“ und sie können nächtelang nicht schlafen, weil sie so fertig gemacht wurden. „Mensch“, jaulen die verkannten Menschenfreunde in ihre Kissen: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“. Ja, klar, darf man. Und man wird da ja wohl auch noch buhen dürfen. Oder besteht da plötzlich die Gefahr einer Traumatisierung einer Seele, die ein Pflaster braucht, weil sie nicht verbluten mag? Diese verzogenen, jeder billigen Anerkennung hinterher hechelnden Anti-Mainstream-Mainstream-Gören wollen alles: Spiel, Spaß und Schokolade. Also die Aura der Rebellion, den Jubel aller und dann, wenn sie beim Stöckchenkampf aufs Maul kriegen, einen Kuss von Mama und am Ende doch wieder den größten Pudding. Diese Art von Rebellion hört natürlich immer sofort auf, wenn sich damit kein wirtschaftlicher Erfolg erzielen lässt. Diese Querdenker sind da so flexibel wie Mama Merkel, die uns alle lieb hat und mühelos den Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg verkündet, wenn sich plötzlich die Gesetze der Physik verändern, weil in Japan ein Kernkraftwerk havariert. Dieses ehemalige Kohlzäpfchen, das den Mindestlohn kategorisch ablehnt um 17 Monate später eine „Lohnuntergrenze“ einzufordern, die natürlich so beschissen ist, dass es sich gar nicht lohnt auf Hartz IV zu verzichten, wenn man mal ökonomisch denkt, was aber offenbar die Normalbevölkerung lassen soll, egal ob sie in Deutschland oder Griechenland die Lobby-Scheiße und Fähnchen-im-Wind-Marotten ihrer Volksvertreter ausbügelt.

 

So, ganz ruhig, jetzt muss ich noch irgendwie wieder auf Bushido zurückkommen, diesen dackelblickigen, warmduschenden Fußföhner und Abschiedswinker, der ganz zahm geworden ist, seit er mit Geld und Preisen und einem Job als Integrationsbeauftragter der Nation ruhig gestellt wurde. Meine Meinung zu dem Preis? Ich finde, dieser Mann hat einen lächerlichen, nach einer Kinderfilmfigur benannten Fernsehpreis und eine Laudatio von Peter Maffay redlich verdient. Es geschieht ihm Recht. Und gerne soll er demnächst mit Till Brönner und Sarah Conner „Deutschland sucht die Supernutte“ moderieren, denn da weiß er dann, wovon er spricht.

 

Amen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Cha (Dienstag, 06 Dezember 2011 21:10)

    Hallo Hallo lieber Anselm,
    da ich kein Gästebuch gefunden habe oder irgendetwas, wo ich was zu deinem Buch "Die Lebern der Anderen" hier auf der HP schreiben kann, packe ich es an diese zwar inhaltlich falsche aber rein formal dennoch passende Stelle:
    Ich habe dein Buch heute als Nikolausgeschenk verpackt und bisher zwar nur das Vorwort und erste Kapitel vorgelesen bekommen, aber schon Tränen gelacht!
    In diesem Sinne schicke ich dir fünfeinhalb 1a-Deluxe Grüße aus Frankfurt!