Die letzte Nacht von Schnellroda

Theaterstück in drei Akten

 

(wenn nicht durch * gekennzeichnet, handelt es sich ab „dramatis personæ" um Originalzitate aus dem Gesprächsband „Tristesse droite. Die Abende von Schnellroda“ (hrsg. von Ellen Kositza und Götz Kubitschek)

 

Dramatis personæ

 

Götz Kubitschek: Jahrgang 1970, Löwe, im Kern ein Menschenfreund, aber das weiß keiner.

 

Ellen Kositza: Wurde 1973 im Sternzeichen des Schützen geboren. Kositza ist vor allem Hausfrau. Kositza heißt Ziege.

 

Martin Lichtmesz: Wurde 1976 in Wien geboren. Die Sonne stand in den Fischen. Wie Ernst Jünger und Alain de Benoist zählt er sich zur Bruderschaft der Katzenliebhaber.

 

Thorsten Hinz: Jahrgang 1962. Im Sternbild des Skorpion geboren ist er zumeist freundlich.

 

Dr. Erik Lehnert: Ist Jahrgang 1975. Ihn empört das Ansinnen, sich selber zu beschreiben. Doch immerhin lässt sich dieses feurige Temperament mit seinem Sternzeichen entschuldigen; nämlich dem des Löwen!

 

Raskolnikow: 1975, Nordostbrandenburg. Vaterloser Bastard, cholerischer Tunichtgut, verfressener Faulpelz. Wie alle simplen Geister liebt er die Ordnung.

 

Nils Wegner: Erblickte an einem Herbstabend des Jahres 1987 im niedersächsischen Achim das Licht der Welt. Er schätzt Rotwein und Tabak und alberne Witzbildchen im Internet.

 

Außerdem: Akif Pirinçci, Udo Ulfkotte und der Chor der Antifanten

 

 

Erster Akt

 

In einer klirrend kalten Raunacht auf dem Rittergut Schnellroda (Haupstraße 24, 06268 Albersroda) streiten sieben Rechtsextreme darüber, was sie sind.* In der Bibliothek ist es ziemlich kühl, aber es gibt eine scharfgewürzte Kürbissuppe, frischgebackenes Brot, Wurstplatte vom Dorfmetzger, Bier und schweren Rotwein.

 

Lichtmesz: „Rechtsintellektueller“, das hört sich dämlich an.

 

Lehnert: Was hast’n gegen intellektuell?

 

Lichtmesz: Es ist einfach minderwertig, ein Intellektueller zu sein.

 

Wegner: Ich hätte jetzt statt „Intellektueller“ eher so den klassischen germanistischen poeta vates vorgeschlagen … wenn man das ganz klassisch, germanistisch-faschistoid sieht…

 

Raskolnikow (das Gesicht durch den Widerschein des Kaminfeuers markant illuminiert): Also Leute, die darüber diskutieren, ob sie Intellektuelle sind, sind bestimmt Intellektuelle.

 

Kubitschek (schwäbelnd): Genau.

 

Lehnert: Ich meine, wir würden den Leuten ja auch sagen, was sie tun sollen.

 

Raskolnikow: Aber wir gehen nicht von der Anthropologie aus, die die Liberalen haben!

 

Lehnert: Nee, wir gehen davon aus, dass der Mensch sowieso gesagt bekommen muss, was er tun soll.

 

Kubitschek: Genau.

 

Lichtmesz: Also, wenn ihr wollt, das ich etwas sage, dann müsst ihr mir das Wort erteilen.

 

Kubitschek: Nö.

 

(längere Pause, Lichtmesz schnorrt, dann raucht er, Kositza raucht auch.)

 

Kubitschek (nach Räuspern, zögerlich): Ich finde den Begriff der Traditionskompanie gut. Man bewahrt bestimmte Traditionselemente und bildet einen Verband, ganz gezielt, im Stile einer Kompanie.

 

Kositza: Ich find‘ den Begriff, mal vom Nichtzutreffen abgesehen, auch überhaupt nicht schön.

 

Kubitschek: Ich find‘ den sehr schön.

 

Lehnert: Kompanie ist französisch.

 

Kositza (äffender Ton): Traditionskompanie … da denk‘ ich an Älplervereine, Hut mit Gamsbart, Loden, festgelegte Fröhlichkeit.  

 

Lichtmesz: Also, wenn ihr wollt, das ich etwas sage, dann müsst ihr mir das Wort erteilen.

 

Kubitschek: Sag was.

 

Lichtmesz: Okay, okay, dann sag ich jetzt auch was. Aber ihr müsst mir Zeit lassen, ihr bringt mich durcheinander, wenn ihr jetzt reinredet oder blöde Witze macht.

 

Kubitschek: Sag was.

 

Lichtmesz: Mir geht’s im Grunde genauso wie der Ellen.

 

Kubitschek: Das liegt halt daran, dass du maximal mit der Sanitätstasche durchs Bundesheer gekrochen bist. Für mich ist ne Kompanie was Angetretenes.

 

Kositza (herablassend, amüsiert*): Das sagst du als Ein-Mann-Kaserne? Wo ist denn hier eine Kompanie?

 

Kubitschek (erregt*): Jetzt sag ich dir eins, jetzt unterbreche ich dich. Das Wort Traditionskompanie verweist auf meinen pädagogischen Anteil.

 

Lichtmesz: Jetzt mal rein gesprächstechnisch. Mir fällt zu allem was ein, was ihr sagt.

 

Wegner (zaghaft*): Wenn ich darf, würde ich gern auf das Argument der (malt Anführungszeichen) Kreativität eingehen…

 

Kubitschek: Nö.

 

Lichtmesz (entrückt*): Traditionskompanie … Das Wort ist blau, das ist pelzig, das ist wie ein Stein.

 

Kubitschek: Leise, da entsteht ein Sonett…

 

Lehnert (bereits lallend*): Eine Sache noch: Du hast angesetzt mit Preußen und Dienst, und dem zweiten Typ, denen, die was setzen. Das würde mich interessieren, was schwebt dir vor?

 

Kubitschek: Das ist ein großes Fass, das können wir nachher gerne aufmachen. Es ist ambivalent. Auf der einen Seite glaube ich, dass wir sehr dienstfähig sind. Auf der anderen Seite glaub ich … dass wir alle Setzer sein müssen.

 

Lehnert: Aber das ist ja der Punkt. Vielleicht würden wir selbst in der Welt, die unseren Vorstellungen am ehesten entspräche, trotzdem nicht klar kommen.

 

Kubitschek (defensiv*): Ich glaub schon, dass es Phasen …

 

Lehnert (jäh angriffslustig): Dann würde mich mal die Phase interessieren, in der du dich eingefügt hättest.

 

Kubitschek: Also. Lasst uns mal…

 

Lehnert (stärker lallend, aggressiv*): Woran mach ich’s fest, wann der Zeitpunkt ist, die radikale Entscheidung zu treffen: Jetzt kommt’s drauf an.

 

Kubitschek: Also…

 

Lehnert (sehr laut und unklar artikulierend*): So nach dem Motto: Waffe hab‘ ich im Schrank, und wenn’s knallt, dann geh ich. Sozusagen den Moment abzupassen, wenn’s grad ‚ noch nicht knallt, aber sozusagen den ersten Schuss, naja…

 

Kubitschek: Laßt uns morgen über diesen Punkt reden.

 

Lichtmesz (schief im Stuhl sitzend, ebenfalls lallend*): Jetzt muss ich eine Geschichte erzählen … Es gab Forscher, die ein Affenrudel beobachtet haben. Menschenaffen, Schimpansen oder so. Und im Rudel gab’s so ein paar Schimpansen, die quasi die „Depressiven“ waren. Die waren wenig aktiv, standen am Rand, haben nicht so laut geplärrt und geschrien und kopuliert und so weiter, die waren im Vergleich zu den pausbäckigen Schimpansen also die Dysfunktionalen. Die Forscher haben dann genau diese, die aus der Reihe gefallen sind, aus der Herde isoliert, damit nur die Pausbäckigen übriggeblieben. Und ein Jahr später war die ganze Herde, tot, ausgelöscht, vernichtet, von ihren natürlichen Feinden.

 

Kositza: Also sind wir systemstabilisierend?

 

Eine Gesprächspause. Ein Scheit knackt im Ofen. Lichtmesz sackt erschöpft nach vorne.

 

Kubitschek: Wer stabilisiert den Martin, bis er sein Bett bezogen hat?

 

 

Zweiter Akt (in memoriam Dr. Udo Ulfkotte)

 

Der folgende Abend. Draußen. Es ist längst dunkel. Ein schneebedecktes Feld im Mondlicht. Im Hintergrund kahle Bäume. Von links kommen nach und nach gegen den eisigen Wind gebeugte Gestalten in Winterkleidung auf die Bühne. Ihnen voran: Akif Pirinçci. Weiterhin vorne zu erkennen: Udo Ulfkotte und … Charlotte Roche. Ein paar der Gestalten ziehen Bollerwagen auf denen Waffen liegen: Äxte, Schwerter, Knüppel, auch Luftgewehre.*

 

Pirinçci: Verschissene Fickfotzen, verdammte.*

 

Ulfkotte: Herr Pirinçci, ich bitte Sie!*                                                     

 

Pirinçci: Kack-Sachsen-Acker hier. Was müssen diese rechtsversifften Ziegenficker auch in so einem inzest-degenerierten Ossi-Hartzer-Nest hausen? (Wendet sich nach hinten): Kommt jetzt, ihr asozialen Antifanten! Bambule machen, oder wie ihr Kiffkinder das nennt. .. (Die Antifanten johlen)*              

 

Ulfkotte: Bitte, beruhigen Sie sich doch. Hier! (Reicht Pirinçci einen Flachmann. Geistesabwesend greift dieser danach, trinkt, spricht dann weiter…)*

 

Pirinçci: Mein lieber Dr. Ulfkotte, dich hamse doch auch verarscht.*

 

Ulfkotte (weinerlich, aus Uhu-Augen hinter Brillengläsern): Einfach das Manuskript zurückgeschickt und alle Rechtschreib- und Logikfehler mit Rotstift markiert. Von Ihnen wurden ja wenigstens zwei Bücher gedruckt, Herr…*

 

Pirinçci (unwirsch): Jetzt hör mal auf mit diesem Scheiß „Herr Pirinçci“ hier, Herr Pirinçci“ da.*

 

Ulfkotte (servil): Sehr wohl.*

 

Pirinçci: Diese magersüchtige Kositza-Fotze hat mich als Pädo beschimpft, was ja lustig gewesen wäre, wenn mich ihr blödes Götzmännchen nicht aus dem Haus geworfen hätte. Von wegen Finger weg von meiner Tochter usw. Ja, Scheiße, ich dachte, die wäre schon 18. Musser es halt dranschreiben an die Muschi: Finger weg. Bin erst 16 und Privateigentum der Kubitschek-Kositza-GbR.*

 

Ulfkotte (weinerlich): Bitte, nicht immer die gleiche Geschichte. Und dann noch in diesem Gossenjargon.*

 

Ein Antifant: He Jungs, da sind Häuser. (Zeigt aus dem Bühnenbild). Und da, das muss das Rittergut sein.*

 

Pirinçci (hört gar nicht hin): Dabei habe ich da nur mal kurz hin gefasst, um zu sehen, ob das Echtpelz ist, von wegen Tierschutz und so. (Knufft Ulfkotte in die Seite): Verstehste? Kunstpelz ist echt. Nee?*

 

Der Chor der Antifanten (grölend): Wir wollen jetzt Bambule machen. Schlagt die Nazis bis sie lachen!*

 

Ulfkotte (ängstlich): Nicht so laut. Die könnten uns hören, und es sind mindestens sieben. Plus nochmal sieben Kinder und Hofgesinde!*

 

Pirinçci: Scheiß dich nicht ein, Udo. Schnapp dir einen Basi und dann ran an die Scheiben des altehrwürdigen Gemäuers.*

 

 

 

Dritter Akt

 

Kerzen brennen, Kaffee und Gebäck stehen auf dem Tisch, es gibt Grog und Konfekt. Man wartet. Nach einigen Minuten schlendert Lichtmesz herein und nimmt Platz.

 

Kubitschek: Martin, bist du fit?

 

Lichtmesz: Voll. Bin vorhin durch den Wald gejoggt, hab ein Wildschwein gerissen, mit bloßen Händen.

 

Raskolnikow (niedergeschlagen und mehr zu sich selbst): Also ich hab‘ keine Hoffnung, dass es in Deutschland oder Europa wieder so wird wie im Mittelalter.

 

Kositza (an Raskolnikow gewandt): Also: Was bedeutet Ihnen das Volk? Ist es Ihnen Wurst?

 

Raskolnikow: Ja.

 

Kubitschek: Ich guck mir Leute an, die sind so entsetzlich zugerichtet. Ob sichtbar mit Ringen und Gehängen und durchschossenen Ohren oder keine Ahnung was, bis hin zur letzten Gülle, die aus dem Maul tropft… Die Fremdheit den eigenen Leuten gegenüber ist sehr hart…

 

Kositza: Der Abstieg ist doch mit Händen zu greifen.

 

Lichtmesz: Es gibt keine irdische Hoffnung mehr.

 

Lehnert: Irdische oder jüdische?

 

Lichtmesz: Irdische.

 

Kubitschek: Hab jüdisch verstanden.

 

Lehnert: Ich auch, haha!

 

Lichtmesz: Die Identitären in Deutschland haben freilich auch nichts gerissen….Aber diese AfD-Rhinozerosse haben erst recht nichts bewirkt, außer dass sich das konservative Lager wieder mal selbst zerlegt und weichgespült hat.

 

Kubitschek (fährt kaum hinhörend dazwischen*): Das ist eine Kette von Zurücksetzungen … Als dann die Sezession zehn Jahre alt wurde, da hätte man locker mal eine ganze Seite in der FAZ vollpinseln können, hat aber keiner gemacht. Oder über den Verlag mal eine ganze Seite, oder wenigstens ein paar Rezensionen, wo doch ständig Besprechungsexemplare angefordert werden. Und wenn ich jetzt Weißbooks oder Cookbooks oder so heißen und schwule Lyrik aus Brasilien verlegen würde, dann hätte ich auch längst eine ganze Seite.

 

Kositza: Ich glaub, der Götz wäre auch froh, wenn es im Börsenblatt des Buchhandels auch über ihn ein dreiseitiges Portrait gibt wie von allen kleinen, feinen, unabhängigen Verlagen.

 

Kubitschek: Es ist leicht, etwas zu zerschlagen, aber schwer, etwas aufzubauen. Aber das, was uns im Moment umgibt – da muss ich sagen, etwas mehr Armut, etwas mehr Lust zur Veränderung und etwas mehr Zorn wären mir lieber als diese warme Badewanne, in der unser Volk ertrinkt.*

 

In diesem Moment ertönt ein lauter Knall. Die Sieben fahren zusammen. Angespannte Stille. Dann: Noch ein Knall, splitterndes Glas.*

 

Lichtmesz (schaut aus dem Fenster*): Der Ulfkotte, der kann’s kaum erwarten, ich finde das ziemlich ulkig, der sitzt schon im Startloch mit Survival-Pack.

 

Lehnert: Hehehehe. Gut!

 

Die Geräusche aus dem Erdgeschoss werden lauter und zahlreicher. Jetzt hört man neben berstenden Fenstern und splitterndem Mobiliar auch den…*

 

Chor der Antifanten:  Wir werden jetzt Bambule machen. Schlagt die Nazis bis sie lachen.*

 

Kubitschek (ängstlich*): Jetzt waren wir doch gerade auf der Ebene des Schabernacks.

 

Wegner (springt auf, greift sich ein Zierschwert von der Wand*): Standhalten.

 

Lichtmesz: Logo, logo, logo.

 

Raskolnikow (zeigt betrunken gestikulierend auf den hereinstürmenden Pirinçci*): Das ist Charlotte Roche!

 

Lichtmesz: …da entsichere ich meine Browning.

 

Kubitschek: Nein, nein, nicht durchdrehen, trotz allem nicht.

 

Pirinçci schnappt sich als erstes Hinz und schallert ihm eine, dass es kracht.*

 

Hinz: Erbaulich!

 

Pirinçci: Halt das Fressbrett, Brillenkasper.*

 

Hinz (vorwitzig*): Achtung, das war Ironie!

 

Hinz bekommt noch eine gepfeffert und geht zu Boden. Hinter Pirinçci stürmen bewaffnete Antifanten in den Rittersaal. Ein Schuss fällt. Wegner sackt von Lichtmesz getroffen zusammen.*

 

Wegner (perplex*): Also bitte!

 

Kositza (beugt sich zu dem Getroffenen. Blut läuft aus seinem Mund. Sie diagnostiziert kühl*): Erstverschlimmerung.

 

Lichtmesz (kleinlaut*): Aber das fire war mehr friendly.

 

Es kommt zu einem brutalen Handgemenge, in dessen Verlauf Kubitschek, Kositza und Lehnert aus dem Fenster geworfen werden. Mit verdrehten Gliedmaßen liegen sie im Schnee. Lange ist es still. Dann irgendwann bewegt sich…

 

Kubitschek: Das ist eine ungeheure Höhe von der wir runtergefallen sind.

 

Lehnert (röchelnd*): Man darf den Weltgeist nicht unterschätzen.

 

Kubitschek: Na, vor solcher Größe siedeln wir uns mal am besten irgendwo in der Bezirksliga an, aber mit Aufstiegspotential. Gut?

 

Lehnert: Gut.

 

 

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DIE LETZTE NACHT VON SCHNELLRODA • Anselm Neft
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