Balzac zur Finanzwelt

Gerade eben habe ich im ersten Teil von "Glanz und Elend der Kurtisanen" (Honoré de Balzac um 1840) folgende interessante Passage gefunden:

 

"Obwohl die Finanzpolitik des berühmten [Bankier-] Hauses Nucingen anderswo erläutert ist, mag es doch auch hier nicht unnötig sein, zu bemerken, dass so beträchtliche Vermögen in all den kommerziellen, politischen und industriellen Revolutionen unseres Zeitalters nicht erworben, gesichert, vergrößert und bewahrt werden können, ohne dass anderswo riesenhafte Kapitalverluste vor sich gehen oder, wenn man das so sagen will, den Vermögen vieler Einzelner Abgaben auferlegt werden. Es kommen sehr wenig neue Werte zum Gesamtvermögen der Erde dazu: Jedes neuerworbene Vermögen bringt neue Ungleichheit in der allgemeinen Besitzverteilung mit sich. Was der Staat einhebt, gibt er zurück, aber was ein Haus Nucingen an sich zieht, das behält es. An diese großen Verbrechen reichen die Gesetze aus dem Grunde nicht heran, aus dem Friedrich der Große ein Jaques Collin [Meisterverbrecherfigur bei Balzac] oder ein Mandrin [ein französischer Räuberhauptmann und Volksheld] geworden wäre, wenn er statt in Schlachten um Länder zu kämpfen, ein Schmuggler gewesen oder in Wertpapieren spekuliert hätte. Die europäischen Staaten zu zwingen, dass sie Anleihen zu zehn oder zwanzig Prozent aufnehmen, diese zehn oder zwanzig Prozent durch die Gelder der Bevölkerung hereinzubringen, sich der Rohstoffe zu bemächtigen und dadurch im Großen Erpressungen an den Industrien auszuüben, dem Gründer eines Geschäfts einen Strick hinzuwerfen und ihn gerade so lange über Wasser zu halten, bis man sein schon ersticktes Unternehmen an sich gerissen hat, kurz, alle diese gewonnen Geldschlachten machen zusammen die hohe Politik des Geldes aus. [...] Bei uns stammt das Übel von der politischen Gesetzgebung her: Die Verfassung hat die Herrschaft des Geldes proklamiert, und der Erfolg ist der höchste Maßstab dieses entgötterten Zeitalters geworden. Die Korruption der höheren Stände ist jedoch, trotz aller blendenden Gewinne und ihrer Scheinrechtfertigungen, noch unendlich widerwärtiger als die erbärmliche und gleichsam persönliche Korruption der niederen Klassen, von der wir ein paar Einzelheiten als komisch und zugleich furchtbar in diese Erzählung aufnehmen. Die Ministerien, die vor jedem wirklichen Gedanken erschrecken, haben die Komik von heute von der Bühne verbannt. Die bürgerliche Gesellschaft, die heute weit weniger liberal ist als selbst Ludwig XIV., zittert davor, ihre Hochzeit des Figaro zu erleben; sie verbietet, den politischen "Tartüff" aufzuführen und würde sicherlich auch nicht zulassen, dass man "Turcaret" spielte, denn die Turcarets sind ja jetzt am Ruder. Von nun an werden die Komödien zu Erzählungen, und das Buch, das weniger rasch, aber sicherer wirkt, ist die Waffe des Dichters geworden."  

 

 

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