Evil dead -- damals und heute

Magister Nachit faltet zufrieden die Hände auf seinem Wanst. Die Kinoleinwand ist schwarz geworden, gleich beginnt der Film. Ich sitze gutgelaunt neben dem prächtigen Frankomarokkaner, einem ausgewiesenen Connaisseur des Obskuren, Schattenhaften, Grotesken und beizeiten schlichtweg Widerwärtigen. Wer sonst hätte mich an einem Fronleichnamsabend in das Kölner Cinedom begleitet, um den Film „Evil Dead“ zu sehen, einen Streifen, dessen amerikanisches Verleihplakat mit folgendem dämlichen Slogan wirbt: The most terrifying film you will ever experience.

 

Obwohl in Köln seit vielen Tagen zum ersten Mal die Sonne ballert, ist der Kinosaal rappelvoll. Außer Magister Nachit und mir gibt es nur sehr wenige Zausel mittleren Alters, darunter eine Frau, die wie eine resolute Finanzbeamtin aussieht, für die Gary Larson eine Brille entworfen hat. Und direkt hinter uns sitzt ein Mittvierziger-Paar, bei dem der Mann die verkrampft-unterwürfige Schein-Normalität des Ex-Junkies ausstrahlt. Das restliche Publikum besteht aus Menschen in der Blüte ihrer Jugend. Allein in der Reihe vor mir zähle ich sieben Baseballkappen und acht XXL-Eimer mit Popcorn.

 

Gleich neben mir hat sich eine vierköpfige Clique niedergelassen, bei der es sich vielleicht um Berufsschüler, vielleicht auch um Studenten handelt. Da scheinen mir heutzutage die Übergänge fließender als zu meinen Unitagen. Das Mädchen, das gleich neben mir sitzt, sagt: „Ich habe keinen Bock auf den verfickten Kack, ich scheiß mir jetzt schon in die Hose.“ Vermutlich doch eine Studentin, schließlich hat sie zwei Sätze gesprochen, ohne „Alter“ zu sagen. Ich bescheide dem guten Kind, dass es sich gerne einscheißen dürfe, aber auf unkontrolliertes Kreischen, namentlich in mein Ohr, bitte verzichten möge. Die junge Dame sieht mich interessiert an. Auch der junge Mann neben ihr wirkt überdurchschnittlich aufmerksam. Nach einer kurzen Pause füge ich hinzu: „Genaugenommen bin ich auch gegen das Einscheißen.“ „Geht klar!“, sagt das Mädchen souverän in das Gelächter ihrer Clique. Und schon geht es los.

 

Bei „Evil Dead“ handelt es sich um das Remake des Films „The Evil Dead“ aus dem Jahre 1981, der in Deutschland als „Tanz der Teufel“ beschlagnahmt wurde und bis heute indiziert ist. Also ein Film mit gutem Ruf unter Horrorfilmfreunden. Ich hatte das Glück im Alter von 13 Jahren über einen älteren Freund an eine ungeschnittene VHS-Version des Werkes zu gelangen. Der billig gedrehte Film hatte bei mir den Effekt eines unrund verlaufenden LSD-Trips mit Langzeitwirkung, weswegen ich „Tanz der Teufel“ in kurzer Folge noch zwei weitere Male ansah, nicht ohne zwei Gleichaltrige mit reinzuziehen.

 

Die Handlung ist schnell erzählt: Fünf junge Menschen, zwei Männer und drei Frauen, suchen eine Hütte im Wald auf und beschwören zufällig eine dämonische Macht, die nacheinander in die Mädels rauscht und in diesen Wirtskörpern nur zur Ruhe gebracht werden kann, wenn diese vollständig zerstückelt werden. Gut, das klingt jetzt weder nach komplexer Dramaturgie, noch nach einem Kultklassiker des emanzipatorischen Frauenkinos, aber das Inferno, das da 1981 von ein paar Filmstudenten für 90.000 Dollar entfesselt wurde – mit toller, eigenwilliger Kameraführung, sehr eigenständiger und effektiver Tonspur sowie einem soliden „over-the-top“-Ansatz in Sachen Terror und Gewalt – ja, diese grausam-komische Dämonen-Entfesselung gehört bis heute zu den Perlen rustikaler Unterhaltung und kann auch in unseren Tagen Pubertierenden auf der Suche nach einem Initiationsritus uneingeschränkt empfohlen werden. Klar, man kann als junger Mensch auch coole Skitouren, einen aufregenden Surfurlaub, Petting oder Interrail machen, aber es ist nun einmal nicht jedem alles im gleichen Maße möglich.

 

Ich möchte das anhand meiner eigenen Person ein wenig verdichtet illustrieren: In der Mittelstufe fand ich mich eines Tages auf dem Schulhof zwei Gruppen Jugendlicher gegenüber. Die eine Gruppe bestand aus gut gewachsenen, cool gekleideten Teenagern, die gut in der Schule waren, ohne als Streber zu gelten, und die in ihrer Freizeit viel Sport machten, geile Musik auflegten und mit anderen netten Teenagern ausgingen und coole Projekte und interessante Reisen für die Zeit nach dem Abi planten. Die Jugendlichen dieser Gruppe tranken morgens frischgepresste Säfte in lichtdurchfluteten Küchen, während ihre schönen Eltern in weißen Bademänteln dasaßen und ihnen sanftmütig lächelnd das dichte Haar zerwuschelten. Mein Blick wanderte zur anderen Gruppe: Da standen anorektische Scheidungskinder, aufgeschwemmte Trauerklöße, blasse Bettnässer, stotternde Hampelmänner in schwarzen Rüschenhemden, neurotische Weltverbesserer in Hosen aus Sackleinen, depressive Drogen-Diven und giggelnde Pickel-Geeks. Ich sah, dass mir aus der ersten Gruppe jemand zuwinkte: „He, komm ruhig zu uns, Anselm. Passt schon.“ Das hatte nett, aber nicht zwingend geklungen. Die Frischsaft-Teenager kamen ganz offensichtlich auch bestens ohne mich klar. In der zweiten Gruppe sagte niemand etwas. Es lud mich auch keiner ein, aber die verstohlenen Blicke sprachen Bände: Man wollte mich. Man wollte mich unbedingt. Ich hatte damals zwei Leitsätze: 1. Ein Mann muss da hingehen, wo er gebraucht wird, und 2. Better to rule in hell than to serve in heaven.

 

Eine folgenschwere Entscheidung, wie ich 25 Jahre später, nicht ohne einen Anflug von Melancholie bemerken möchte. Die Zugehörigkeit zur beta-Gruppe brachte mich zwangsläufig in die Gesellschaft von Rollenspielern, Protoalkoholikern, Borderlinerinnen, Missbrauchsopfern, Freizeitsatanisten, Computersüchtigen und Horrornerds. Man kann behaupten, dass ich jahrelang hauptberuflich uncoole Hobbies gesammelt und ausgeübt habe, und für keines bin ich so sehr angefeindet worden wie für mein Faible für missgelaunt-metzgernde Misanthropen-Machwerke. So stellte mich beispielsweise ein Religionslehrer vor der versammelten Klasse als verkommenes Subjekt dar, nur weil ich behauptete, die vom ihm frech aus meinem Ranzen gefischte VHS-Kassette mit der Aufschrift „Tanz der Teufel“ enthalte die Fortsetzung von „Dirty Dancing“. Am Ende hackte zum Glück eine Krähe der anderen kein Auge aus. Pater Wenzel übersah, dass ich im Klassenzimmer mit solchen Filmaufnahmen Handel trieb. Ich hing im Gegenzug nicht an die große Glocke, dass mein älterer Bruder ihn im Südfrankreichurlaub einmal mit Frau Engel, der guten Fee des Internats, in pärchenhafter Pose vorgefunden hatte.

 

Schwerer wog, was der Horrorfilmfimmel kurz darauf mit sich brachte: Die Eltern eines Freundes verboten ihm nach zwei Ermahnungen den Umgang mit mir. Später konnte ich das ein bisschen verstehen. Ich erfuhr, dass sie ihren Sohn manchmal mit einer Reitgerte schlugen. Wenn er auch noch mit mir Horrorfilme gesehen hätte, wäre das sicher zu viel Grausamkeit für einen Heranwachsenden gewesen. Anderes Ungedeih brachte mir meine Passion noch in meiner Studienzeit: Eine Kunststudentin der anthroposophischen Alanusschule brach eine Affäre mit mir ab, als sie meine kleine, aber monothematische Filmsammlung entdeckte. Mir waren damals allerdings Frauen mit Freude am Horror ohnehin lieber.

 

Ob hier und heute im Kölner Cinedom die junge Dame im Sitz neben mir allerdings eine solche Horrorfrau ist oder wird, bleibt abzuwarten. Offenbar ist sie nicht ganz freiwillig zum Teufelstanz erschienen, sondern wurde von ihrem Freund oder gleich der ganzen Clique genötigt, sich das finstere Treiben anzusehen. Und es dauert auch nur 35 Sekunden, da brennt auf der Leinwand bereits eine blondgelockte Frau, die gleichzeitig ihrem Vater dämonische Schweinereien ins Gesicht grunzt. Dieser Vater hat gerade eben mit den gequälten Worten „Ich liebe dich“ den Scheiterhaufen in Brand gesteckt. Man muss da jetzt die einzelnen Zusammenhänge nicht verstehen. Die Welt der Dämonen trotzt dem apollinischen Logos mit chthonischem Chaos. Auf jeden Fall ist die Szene effektiv inszeniert.

 

Ich linse vorsichtig zu dem Mädchen im Nachbarsitz. Sie sitzt mit verschränkten Armen da und schaut mit leicht gesenktem Kopf auf die Leinwand. Sie scheint alles im Griff zu haben. Anders sieht das beim vermeintlichen Ex-Junkie hinter mir aus. „Boh, hohoho!“ lacht er laut in den Saal. Er wird dieses Lachen ab jetzt noch 76 Mal erklingen lassen, manchmal garniert mit einem: „Ey, haste gesehen? Krass.“ Die Frau neben ihm sagt gar nichts. Vielleicht ist sie nicht seine Freundin, sondern eine Sozialarbeiterin im Dienst.

 

Redselig sind hingegen die Kappenträger in der ersten Reihe. Vor allem ein gutgelaunter Speckkopf lässt sich keine Pointe entgehen. „Achtung Sonnenbrand“, sagt er, als es gerade still genug im Kino ist, das Hexenmädchen aber noch brutzelt. Kein Spitzenwitz, aber dem Buben geht es anders als der Hexe: Er muss erst mal warm werden. Etwas später wird eine junge Frau im Wald bei der Hütte von tückischem Geäst festgehalten, derweil eine dämonische Erscheinung einen meterlangen Wurm auskotzt, der sich langsam den Weg in die Scheide des armen Mädchens bahnt. Das klingt jetzt etwas wirr und etwas eklig, ist aber geradlinig und steril inszeniert, die Szene im Original hatte da mehr Potenzial, eine Psychose auszulösen oder zumindest Alice Schwarzer in Talkshows zu treiben.

 

Als das windige Wurmwesen schließlich in seinem wimmernden Wirt verschwunden ist, wird es auf der Leinwand und im Publikum kurz still. Genau jetzt kann der Lümmel aus der ersten Bank vier Worte trocken platzieren: „Hä, in die Muschi?“ Solides Timing und zu recht ein Lacherfolg bei seinen Kumpels. Auch ich fühle mich heiter, ja beinahe gelöst, und sage, in seine Richtung gebeugt: „Das Ding ist da rein, wo du raus gekommen bist.“ Der Dickwanst dreht sich zu mir um und sagt mit nachdenklichem Blick: „Stimmt.“ Teufel, denke ich, diese Kids von heute sind wirklich abgebrüht.

 

So geht es nun von Szene zu Szene: Bei jeder Gräueltat lacht der Ex-Junkie ein kehliges Männerlachen oder sagt: „Ja, geil, und jetzt noch das Bolzenschussgerät.“ Der Kappenbengel begnügt sich mit trockenen Onelinern und das Mädchen neben mir sitzt mit verschränkten Armen da. In der Mitte des Films schlägt ein nerdiger Mann seiner besessenen Freundin mit einem Waschbecken Rücken und Kopf zu Klump. Das dauert ungefähr eine halbe Minute, ist klangtechnisch nachvollziehbar gestaltet und sorgt für einen überraschenden Effekt: Der Kehlenlacher hinter mir hält sich bedeckt und der Whopper sagt zur Abwechslung einmal nichts. Es scheint, als ob der Film die Grenze dessen überschritten hat, was der Kappenlümmel für witztauglich hält. Ich bewundere die Sensibilität des jungen Mannes in diesem scheinbar unsensiblen Kontext und stelle mir plötzlich seine Wimpern lang und zart vor.

 

Sicherheitshalber schaue ich noch einmal zu der jungen Frau neben mir. Sie hat noch immer die Arme vor der Brust verschränkt, schaut jetzt aber weniger ängstlich, sondern trotzig-schmollend. Vielleicht so, wie ich in einem Musical sitzen würde. Es gibt noch einigen Buhei auf der Leinwand, bei dem eine Kettensäge, ein Teppichmesser und eine Nagelschusspistole die Handlung vorantreiben. Besagte Nagelschusspistole wird vom Nerd benutzt, um einem anderen Dämon in Frauengestalt heimzuleuchten. Die Nägel, die den Körper der unheiligen Sebastiana durchbohren, machen der entfesselten Furie jedoch nicht viel aus. Wer kennt das nicht: Ein Pärchenstreit verleiht den Beteiligten oft ungeahnte Kräfte und Schmerztoleranz. Wie auch immer: Als die Nägel alle sind und sich die Dämonin in halbseidener Absicht über den armen Brillenträger zu beugen droht, ruft der Junge neben dem Kappenwhopper: „Ey, wirf du Sau!“ Und tatsächlich: Der Nerd wirft das Nagelschussgerät und kann sich gerade noch wegrollen.

 

Ich finde, Filme wie Evil Dead haben pädagogisches Potenzial. Jugendliche, die sonst vielleicht nicht viel zu melden haben, können sich einmal als wirkmächtig erleben, weil hier eine Leinwandfigur empathisch gerufene Ratschläge gleich umsetzt. Zugegeben, für das Gefühl der Wirkmächtigkeit sind Computerspiele noch viel besser geeignet. Aber noch sind Herr Nachit und ich ja im Kino. The Witcher 2 – Assassins of Kings wollen wir erst später spielen. Nach 91 Minuten ist der derbe, aber nicht originell gefilmte Spuk vorbei. Die psychedelische Wirkung des Originals kann die wesentlich teurere Produktion bestenfalls in einigen wenigen Momenten erreichen. Die meisten eingesetzten Mittel -- vor allem die Tonspur -- sind ermüdend konventionell. Man kennt diese Art von Geisterbahngewummer längst in- und auswendig. Andererseits erweitert der Film die ursprüngliche Story durch eine Drogenrahmengeschichte gar nicht mal blöd, und der Wille zu teils wirklich grimmigen Darstellungen ist auch anerkennenswert.

 

Kaum, dass der Abspann läuft, dreht sich die junge Dame zu mir und fragt: „Und, war das jetzt ein guter Horrorfilm?“ Ich überlege. Jetzt nichts Falsches sagen, vielleicht ist das gute Kind ja für den Horror noch nicht verloren. „Mittel“, sage ich weise. „Also ich fand ihn voll Scheiße“, sagt die junge Dame, ohne ihren Freund anzusehen. „Ja“, gebe ich zu. „Wenn man diese Art von Filmen nicht mag, dann war das eine ganz schöne Scheiße.“ Magister Nachit indes faltet schon wieder sehr vergnügt die Hände über seinem Bauch.

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