Der weibliche Weg zum Glück -- über biologische Forschung contra Gendertheorie

 

Weil gerade der Tagesspiegel eine brandneue Studie vorstellt, anhand derer Biologinnen und Biologen die Theorie aus den Angeln heben wollen, dass Geschlecht ein gesellschaftliches Konstrukt ist, möchte ich einen Artikel zum Besten geben, den ich zu einem Spiegel-Aufmacher aus dem Jahre 2008 verfasst habe. Darin wird eine vergleichbare, semi-seriöse Studie als heißer Scheiß ausgegeben. Hier meine semi-seriöse Anmerkung dazu:

 

Fast immer wenn ich gerade denke, dümmer geht es in Sachen Mediennarretei nicht mehr, kommt eine neue Ausgabe des Spiegel heraus und beweist: Oh wohl, es geht noch dümmer! Tatsächlich musste ich heute morgen am Kiosk zweimal hinsehen, als ich die neue Ausgabe sah: „Die Biologie des Erfolgs. Warum Frauen nach Glück streben – und Männer nach Geld.“ Der effektheischende Gedankenstrich vor „und Männer“ wäre gar nicht nötig gewesen, um zu verraten, dass hier eine neue journalistische Meisterleistung der Lektüre harrte. Natürlich kaufte ich das Blatt nicht, sondern las es in einem nahe gelegenen Café. Es gibt eine Faustregel: Erinnert das Titelbild einer Spiegel-Ausgabe an die Bildchen, mit denen die Zeugen Jehovas ihre Broschüren verzieren, dann geht es um etwas Religiöses – um Gott, Gene oder Geschlecht. Diesmal sitzen im orangefarbenen Rahmen ein nackter Mann und eine nackte Frau auf verschiedenen Planeten. Der Leitartikel baut erst einmal mächtig Spannung auf: Ja, es gehe um die Unterschiede zwischen Mann und Frau. Das sei ein heißes Eisen. Ganz neue Erkenntnisse stünden da ins Haus, denn diesmal ginge es nicht um Stammtischgerede, diesmal wären es nicht die Ideen eines Bischof Mixa oder einer Eva Hermann, nein, diesmal hätte eine echte Wissenschaftlerin etwas Sensationelles beizusteuern. Susan Pinker, eine Entwicklungspsychologin der McGill-Universität in Montreal. Und nicht nur Wissenschaftlerin sei sie, nein, auch Feministin, und sie sei über ihre eigenen Studien-Ergebnisse erschrocken, da sie ja mit der Vorstellung groß gezogen worden sei, Männer und Frauen wären vollkommen gleich und würden nur durch Erziehung und Milieu in Rollenförmchen gepresst.

 

Pinker hat ein Buch geschrieben, das dieser Tage auch auf Deutsch erscheint: The Sexual Paradox: Men, Women and the Real Gender Gap. Pinkers These darin ist erfrischend simpel: Frauen entscheiden sich öfter gegen eine Karriere als Männer, weil sie biologisch anders zusammengerührt sind als diese. „Die weibliche Hirnaktivität bremst Ehrgeiz im Wettbewerb.“ Damit man sich diesen komplizierten Sachverhalt besser vorstellen kann, druckt der Spiegel die Graphik eines Gehirns ab. Verschiedene Zonen darin sind mit blauen oder roten Punkten markiert, je nachdem ob das entsprechende Areal bei Frauenhirnen größer oder kleiner ist als bei Männerhirnen. So ist der Hypothalamus, der unter anderem die sexuelle Aktivität steuert, beim Mann größer. Das Areal das „für Gefühl zuständig ist“, ist bei der Frau größer. Der Spiegelartikel zeigt sich jedoch erstaunlich skeptizistisch: Es sei nicht sicher, ob die Größe eines Hirnareals irgendetwas über seine Dominanz oder Wirkung aussage, aber bei Ratten sei es schon so, dass es da so etwas wie Zusammenhänge gäbe. Also vermutlich. Und die Karriereentscheidungen von Ratten sind schon ein durchaus lohnendes Forschungsthema.

 

Ein anderer Forscher wird mit zwei spektakulären Experimenten zitiert. Baron-Cohen, ein britischer Psychologe und Direktor des Autismus-Forschungszentrums ARC in Cambridge, hielt männlichen und weiblichen Säuglingen, die je gerade einen Tag alt waren, abwechselnd ein Mobilé und ein menschliches Gesicht vor die halb-blinden Äuglein. Tatsache: Die Mädchen reagierten stärker auf das Gesicht, die Buben mehr auf das Mobilé. „Frauen und Technik passen schlecht zusammen“, weiß auch Frau Pinker.

 

Noch eindrucksvoller erschient mir aber die zweite Versuchsanordnung des Baron-Cohen: Grünen Meerkatzen wurden diverse Spielzeuge dargeboten, und siehe da: die Männchen schnappten sich Spielzeuglaster und Bälle, die Weibchen Stoffpuppen. Und da rede noch einmal jemand von Sozialisation! Ich selbst habe eben einen Test gemacht und bei den verschieden geschlechtlichen Zwillings-Babys meiner Nachbarn ein Pendel ausgepackt. Ohne zu wissen, welches Baby in welcher Wiege lag, schwang mein Pendel über der rosafarbenen Wiege im bauchig-harmonischen Kreis, über der blauen im männlich-markanten Quadrat.

 

Der Spiegel-Artikel verfolgt keine einheitliche Linie, plötzlich schlägt die muntere Betrachtung nämlich einen Haken, indem Susan Pinker mit folgender Aussage zu ihren hochmodernen Tomographen-Erkenntnissen über Männer- und Frauenhirne zitiert wird: „Meist sind die Unterschiede innerhalb eines Geschlechts deutlich größer als die zwischen Mann und Frau.“ Aber dann, so befiehlt es mir mein männlich-analytisches Gehirn zu denken, dann erklären diese Hirnstudien doch gar nichts. So möchte sich Pinker allerdings auch nicht verstanden wissen. Im „Spiegel-Gespräch mit der Entwicklungspsychologin Susan Pinker über die Irrtümer der Frauenbewegung und den weiblichen Weg zum Glück“ äußerst sich Pinker so: „Diese [biologischen] Unterschiede können eine enorme Bedeutung bekommen. Denken Sie nur an all die männlichen Geschäftsführer und die wenigen weiblichen. Um Geschäftsführer zu werden, muss man sehr getrieben sein und aggressiv. Vermutlich ist dabei Testosteron im Spiel.“ Potzblitz! Nicht nur, die vielleicht unterschiedlich großen Hirnbereiche, die eventuell bei Ratten, Schlüsse zulassen, die dann natürlich sehr reduktionistisch sind und mit vielen anderen Faktoren in Beziehung gesetzt werden müssten – nein, auch noch das gute, alte Testosteron, das vermutlich die Männer zur Karriere treibt. Mit derart bahnbrechenden Überlegungen empfiehlt sich Frau Pinker bereits jetzt für den Nobelpreis (der genetisch bedingt bisher zu 95% an Männer ging).

Und es ist ja eine bekannte Tatsache, dass sich alte Männer, deren Testosteronspiegel sinkt, kaum noch für Karriere interessieren und am liebsten in einen „Frauenberuf“ wie Bibliothekarin, Krankenschwester oder Klofrau wechseln möchten.

 

Susan Pinker will ja eigentlich nur spielen und meint es gar nicht böse, wie der vor sich hin irrende Artikel zu verstehen gibt. Sie wolle nicht leugnen, dass Frauen im Berufsleben oft diskriminiert würden und vieles an sozial erlerntem Verhalten liege, nur eben die Biologie, die spiele ja vielleicht auch irgendeine Rolle.

 

Nach Belegen, dafür gefragt, dass Frauen lieber mit Menschen zusammenarbeiten als Männer, antwortet Pinker: „70% aller Promotionsarbeiten im Fach Psychologie werden in den USA von Frauen verfasst.“  Einer derart zwingenden Beobachtung kann sich wohl niemand entziehen. Denn klar: Nichts ist so gesellig, nichts entspricht so sehr dem, was man unter „was mit Menschen“ versteht, wie eine Doktorarbeit zu verfassen. 

 

Geschrieben wurde der putzige Artikel, der versucht, alles richtig zu machen und den Anschein erweckt, tatsächlich etwas zu bieten, was nicht alle Jahre wieder daher gelallt wird, von vier Menschen, bei denen ich mir nicht vorstellen mag, dass sie älter als 18 Jahre sind, klingen sie doch wie von einer neuen Kinderbuch-Gang: Katja Thimm, Samiha Shafy, Nils Klawitter und Beate Lakotta.

 

In der gleichen Spiegel-Ausgabe kommt übrigens auch noch Großmeister Paulo Coelho zu Wort: „Wir stehen an einem Scheideweg. Die Frage ist, ob wir den Weg des Weiblichen, der Spiritualität gehen wollen.“ Der bauernschlaue Coelho hat natürlich erkannt, was auch in dem lustigen Pinker-Artikel zu lesen steht: „Tatsächlich bestimmen typisch weibliche Themen wie Moral, soziale Verantwortung, Gerechtigkeit und Einfühlungsvermögen derzeit auffallend die Management-Literatur.“

 

Bevor ich mich gleich wegen der Aussage „typisch weibliches Thema Moral“ übergebe, muss ich mich aber doch noch kurz freuen: Eine Welt, in der erwachsene Menschen Forschungsgelder darauf verwenden, grünen Meerkatzen Spielzeug vorzulegen, um nach geschlechtlichen Präferenzen zu fahnden, mag zwar durch und durch bekloppt sein, aber sie ist auch sehr, sehr lustig. Und: wo so was bezahlt werden kann, das ist bestimmt genug Geld für alle da!

 

P.S.: Nicht, dass ich jedes konstruktivistische Geblödel, dass unter "Gender-Studies" firmiert, ernst nehme, aber was da aus der "biologischen" Ecke kommt, ist, wenn es zu Soziologie aufgebläht wird, nicht nur in der Regel denkerischer Unfug, es atmet auch den Geist des Reaktionären, der echte oder angebliche biologische Unterschiede heranzieht, um menschengemachte Ungerechtigkeiten zu bagatellisieren.

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